Die Jahrhunderthochzeit, Teil 2
(Die Jahrhunderthochzeit, Teil 2)
Endgültig
verdorben hatte Petra es sich mit Sabine, als sie auf deren Frage
nach einem Geschenkewunsch die legendäre Antwort „In Ostereistedt
gibt man hundertfünfzig Mark!“ gab. Nicht nur, weil Ralf blendend
verdiente, wie er etwas zu oft und zu laut kundtat, sondern vor allem
auch, weil Sabine für ihre sorgfältig und liebevoll ausgesuchten
und hergerichteten Geschenke ein wenig berühmt war und sich daher
persönlich gekränkt fühlte. Beide, Elke und Sabine, fanden, dass
Petra deshalb weder ein liebevoll persönliches Geschenk noch solche
unaufbringbaren Unsummen an Gastgeld verdient hatte; in stiller
Rebellion wurde eine kleine Papiertruhe gekauft, mit Vogelsand
gefüllt und mit Silbergeld bestückt. Achtzig Mark damals insgesamt,
und auf der beiliegenden Karte unterschrieben fünf Personen. Sabine
und Elke amüsierten sich bestens bei der Vorstellung einer auf der
Suche nach dem restlichen Vermögen tagelang immer wieder den Sand
siebenden Petra. Und genüsslich zitierte Sabine den Bräutigam, der
laut Braut gesagt hatte, sie möge sich keine Sorgen machen, es würde
eine Jahrhunderthochzeit werden. Jahrhunderthochzeit, wirklich! Hat
er gesagt! Und Petra war es anscheinend nicht einmal peinlich
gewesen, unfassbar!
Die
Feier fand statt in einem neu errichteten Hotel am äußersten Rand
Hamburgs, einem roten scheinmodernen Klinkerbau mit warzenhaft
angehängten Wintergärten. Frank und Sabine hatten Elke
selbstverständlich im Auto mitgenommen, zu dritt bestaunten sie,
noch in der Sicherheit des Wagens, die plumpe Hässlichkeit der
Fassade. „Oh, guck mal, da sind Petras Verwandte!“ Sabines Finger
zeigte auf einen Wintergarten. „Woran siehst du das denn?“ - „Die
Frauen haben alle dieselbe Dauerwelle!“ Das stimmte tatsächlich.
Der Dorffriseur hatte an verschiedensten weiblichen Köpfen erkennbar
gleiche Spuren hinterlassen. Die dazugehörenden Männer hatten in
stillem Einklang ihre Hände tief in ausgebeulten Cordhosentaschen
vergraben, als wären sie von Feld und Hof unwillig zwangsversetzt
worden; ihr Unwohlsein war ihnen noch durch die
Wintergartenbepflanzung hindurch deutlich anzusehen.
Fast
euphorisch angesichts der Erfüllung ihrer schlimmsten Prognosen
stürzte Sabine beim Eintreten auf eine künstliche Heidschnucke zu,
die neben der Innentür stand: „Peeetraaaa!!“ flötete sie. Elke
kollabierte beinahe vor Lachen. Frank, mit der Mimik eines
Hollywoodstars, der den Scheck für seinen Auftritt bereits in der
Tasche hat, verzog keine Miene. Eine eifrige Hotelbedienstete führte
sie durch mehrere bestuhlte Säle an mehreren falschgoldbeschlagenen
Mahagonitresen vorbei in den Festsaal. In jedem der Säle standen
Fernseher, einige liefen bereits, ein willkommer Fixpunkt für die
cordbehosten, sich an Bierflaschen festhaltenden Niedersachsen.
Abends würde ein Boxkampf stattfinden, Roccigiani gegen Maske. Auf
Wunsch des Bräutigams waren die Fernseher aufgestellt worden, damit
die Gäste auch diesem Ereignis würden beiwohnen können, zwei
Fliegen mit einer Klappe sozusagen. Sabine und Elke hielten das
unisono für ein unfassbar schlechtes Eheomen. Ein Boxkampf! Wenn es
wenigstens Fußball gewesen wäre, da gewinnt ja immer ein ganzes
Team, aber - Boxen???
Schon
nachmittags hatte es der schlechten Omen mehrere gegeben, hatte
Sabine bereits erfahren . Die Kirche, in der sich Petra und Ralf
hatten trauen lassen wollen, wurde gerade renoviert, man hatte auf
ein schäbiges Gemeindehaus ausweichen müssen. Und es hatte in
Strömen geregnet, den ganzen Tag. Der Bräutigam hatte sich abends
zuvor in einem betrunkenen Wutanfall den Arm gebrochen, woran, wollte
niemand sagen. Er trug Gips zum Anzug, was auf eine seltsam
schlüssige Weise mit dem Fernsehprogramm harmonierte.
Elke,
die nun Sabine gegenüber am Tisch sitzt und sich an diesen Strohhalm
klammert, hatte bei jeder Aufführung der
Jahrhunderthochzeits-Lästerei den Teil mit dem Büffet übernommen.
Sie erinnert sich an jedes Detail. An die riesige Fischplatte im
Foyer, aufgebahrt auf einem Tisch in der Mitte: längs auf der
silberfarbenen Fläche hingeschlängelt hatte sich ein toter, ehemals
sicher stattlicher, jetzt bereits größtenteils abgegessener Aal
befunden, um dessen skelettierten Rest lieb- und zusammenhanglos
Haufen von Sprotten, Krabben und Heringen geschüttet worden waren.
Elke hatte es an ein mahnendes Kunstwerk erinnert, ein Memento Mori
aus Wassergetier, eine so gesehen überraschend tiefgründige
Aussage in diesem Ambiente aus Messingnippes und Kaufhauswandschmuck,
das Elend des Aalgerippes bei weitem mehr mitleid- als
appetiterregend. Kaum etwas hätte unerbittlicher Vergänglichkeit
ausströmen können. Ein weiteres schlechtes Omen.
Nach
diesem ersten Gang übernimmt, die chronologische Reihenfolge
beibehaltend, normalerweise Sabine den Teil mit der Braut. Diesmal,
da ohne Zuhörerschaft, in Stichworten. Beide wissen noch zu genau,
wie gespannt sie auf das Brautkleid waren, Mädchen sind nun mal
Mädchen. Wie schwer es gewesen war, in diesem riesigen Saal Petra
überhaupt zu finden, die irgendwo in der Mitte der schräg
gestellten Tischreihen saß; wie lange es gedauert hatte, sich durch
die Bestuhlung dorthin zu kämpfen, Sabine voran, Elke hinterher.
Elke wird nie vergessen, wie Sabines Rücken vor ihr praktisch im
Einklang mit dem Lächeln vorne einfror, als diese endlich vor Petra
stand. Das Kleid! Etwas stillos Rüschiges mit aufgenähten
Plastikpailletten, die nicht glitzerten, sondern nur weiss waren und
wirkten, als hätte jemand Unmengen von Riesenstecknadeln im Stoff
vergessen. Die Braut saß im Rüschenmeer wie eine übergroße
Jahrmarktspuppe; ihre Dorfdauerwelle hing wie üblich herunter,
obwohl eine Hochsteckfrisur ihr weit besser gestanden hätte; dafür
waren die schlaffen Kunstlocken zur Feier des Tages mit weißen
Bändern und noch mehr Plastikpailletten dekoriert worden. Elke
folgte Sabines diskret über Petras derbe Hände wandernden Blick auf
die Finger, Petras Finger, die nun in weissen fingerlosen Handschuhen
staken wie Würste in Servietten. Ein Band um den Mittelfinger hielt
die Handschuhe am Platz, was beide, Sabine wie Elke, unterschwellig
erwarten liess, dass das Gummi den Finger zur obszönen Geste
hochschnellen lassen würde, wenn man nur lange genug darauf starrte.
„Die
Handschuhe!“ Das Stichwort genügt, und das ganze Bild ist wieder
präsent. Das leise, faszinierte Grauen.
Sabine
hatte sich bewundernswert schnell gefangen und beglückwünschte
Petra in zuckrigsten Tönen; als die Braut jedoch aufstand und die
riesige Schleife sichtbar werden liess, die über dem nie zierlich
gewesenen Hintern wie ein Rotor aus dem Rückgrat ragte, griff Sabine
Elke beim Ärmel und zerrte sie durch die Stuhlreihen fort, aus der
Sicht der Braut, hin zu der Reihe von Sideboards am Saalrand, die die
weiteren Bestandteile des Buffets ertrug. Sabine wischte ihr falsches
Lächeln aus dem Gesicht und glomm in triumphierender Boshaftigkeit,
Elke musste sie darauf aufmerksam machen, dass die Wand über den
Sideboards verspiegelt war und man ihren Gesichtsausdruck auch noch
am Brauttisch würde sehen können.
Hier
setzt die Buffettirade ein, zweiter Gang. Die Einzelheiten sind Elke
lange nicht mehr so präsent wie in den Jahren zuvor, sie erinnert
sich nur mehr an die unzusammenhängend bestückten
Aufschnittplatten, Mettwurst neben Mozzarella, und an das trockene
Brot im Korb, das irgendwo am äußersten Rand steht und erst gesucht
werden muss. Besonders aber an die Garnitur von geviertelten
Erdbeeren, lose über den Aufschnitt gestreut. Elke vergisst nie zu
erwähnen, dass Erdbeeren zum Garnieren immer im Ganzen und mit Stiel
in heisse Erdbeermarmelade oder Saft getaucht und so zum Rotglänzen
gebracht werden. Dass zerschnittene Erdbeeren nicht nur Saft ziehen,
was dem Aufschnitt nicht bekommt, sondern auch geradezu erbärmlich
aussehen. Sie ist immer noch stolz darauf, das zu wissen, obwohl sie
nie die Gelegenheit wahrgenommen hat, ihre Kenntnisse praktisch
anzuwenden. Es reicht, sich die zerstückelten Erdbeerleichen in
Erinnerung zu rufen, um dies Verbrechen wieder anklagen zu müssen.
Und
es gehört dazu, dass beide versichern, sie hätten noch nie von
einem Buffet so wenig gegessen, so wenig Appetit gehabt wie bei der
Jahrhunderthochzeit.
Da
sie verspätet eingetroffen und die Plätze um das Brautpaar bereits
von Verwandtschaft und vor allem von Ralfs Geschäftsfreunden belegt
waren, die er aus Mangel an Freunden und Übermaß an Geltungsdrang
zuhauf geladen hatte, wurden Elke und Sabine in einen Nebenraum
komplimentiert. Dort traf auch Frank ein, der sich bereits ein Bier
besorgt und ein routiniertes Gewinnerlächeln aufgesetzt hatte. Auf
dem Weg sah man nicht nur durch Glas auf verwaiste Grills im
strömenden Regen, auf denen Scampis und Bratwurst von nicht
auffindbaren Köchen hätten zubereitet werden sollen, sondern, in
der sicheren Trockenheit des Innenbereichs, auch verschiedene
Warmhaltebehälter, Mensawannen aus Chrom. Mit der Neugier eines
Unfallzeugen öffnete Elke die Deckel, umhineinzuschauen.
Rotkohl. Kartoffeln. Lachs in irgendeiner extrem fettigen Soße, eine
Art Hollandaise wahrscheinlich. Spargel. In unappetitliche Scheiben
zerfasertes, sichtbar durchwachsenes Fleisch in einer anderen
fettigen Soße, hier in braun. Kantinencharme. Ihr fiel keine
Kombination ein, die daraus eine jahrhunderthochzeitswürdig oder
auch nur hochzeitswürdig leckere Mahlzeit gemacht hätte. Resigniert
setzte sie sich zu Sabine und dem unerschütterlichen Frank und
bestellte einen Cappuccino.
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