Eine kleine Provinz-Horrorstory
Eine
echte Provinz-Horrorstory
An
einem dieser langweiligen Spätherbstfrühabende war Petri mit seinem
Fiat und mit Poddel bei Martina vorbeigekommen, wo ich nach einem
Spaziergang durchs Dorf auf eine Kanne Tee plus etwas Klönschnack
aufgelaufen war. Petri hatte ja immer einen Plan, und an diesem Tag
war der, nach Z. zu fahren und einen Kumpel zu besuchen, um bei dem
auf dem Videorecorder „American Werewolf“ zu gucken. Der Film war
gerade in die Kinos gekommen, weiß der Fuchs, wie der Kumpel an eine
Videokopie gekommen war, aber da fragte man weder bei Petri noch bei
seinen Kumpels lange nach. Ich fand ja, dass Herbst und dunkle Tage
bei uns im Ort schon gruselig genug waren...aber andererseits wollte
Martinas jüngere Schwester Angela auch unbedingt mit, und wie hätte
das denn ausgesehen, wenn ich nein gesagt hätte? Und vor allem: was
hätte ich denn dann gemacht, nach Hause zurückgehen und mich da
langweilen? Nee, kam nicht in Frage. Und außerdem wollten alle, dass
ich mitkomme, also ließ ich mich breitschlagen.
Petris
Kumpel kannten wir alle nicht, aber Petri meinte, das wäre schon in
Ordnung, der wäre froh über Gesellschaft und würde sich nicht
anstellen. Und außerdem hätte er immer einen Kasten Bier im Haus.
Das Haus lag, wie sich herausstellte, gleich gegenüber einem
Friedhof, und da parkte Petri auch das Auto. Es war Vollmond,
ausgerechnet, und schon die fahl angeleuchteten Grabsteine hinter der
Hecke wirkten so gespenstisch, dass ich gar nicht anders konnte, als
mich vorauszugruseln.
Der
Kumpel wohnte allein im oberen Stock, und tatsächlich hatte er einen
Kasten Bier. Und den Film. Und einen Videorecorder. Und Lust auf
Gesellschaft. Soweit schon mal alles in Ordnung. Aber Alter, der
Film! Jaa, er war teilweise lustig, wir lachten an der einen oder
anderen Stelle, aber: gruseliges Wandern in einer Gegend, die so
aussah wie bei uns zwischen den Dörfern, und auch der Nebel kam mir
ziemlich bekannt vor. Und dann das Wolfsheulen! Und gleich darauf ein
angreifender Werwolf, der den Freund des Hauptdarstellers
zerfleischt! Und als der Hauptdarsteller sich dann umständlich in
einen Wolf – oder sowas ähnliches – morphte, musste ich mich
schon stark an meiner Bierflasche festklammern, um meine Nerven zu
beruhigen. Aber dann kam auch noch der Kumpel, den ich ganz niedlich
gefunden hatte, als verwesender Zombie zurück...
Es
war ja nicht so, dass ich direkt Schiss hatte, aber ich kannte mein
Gehirn: das würde mir alle gruseligen Szenen wieder einspielen, wenn
ich sie am wenigsten brauchen konnte. Und die dunkle Zeit war noch
lang. Aber nun war ja nichts zu ändern, nun musste ich da irgendwie
durch. „Zu Hause“ war sechzehn Kilometer weg durch die Dunkelheit
und durch mehrere Waldstücke, zurücklaufen wäre weder für die
Füße noch für die Nerven eine Alternative gewesen. Und außerdem:
wie hätte das denn ausgesehen, wo selbst die kleine Angela cool
mitguckte? Also: noch ein Bier, noch mal Festhalten.
Als
wir uns nach dem Film von Petris Kumpel verabschiedet hatten und
wieder aus dem Haus traten, war es draußen ebenso neblig geworden
wie im Film. Der Vollmond schien durch gespenstische Schleier, in
denen die Hecke und dahinter die Grabsteine aufragten. Davor wartete
Petris Auto, und er ging voraus und schloss schon mal auf.
Ich
war die letzte, die einstieg, und das auf der Heckenseite - Martina
und Angela waren von der Straßenseite aus eingestiegen und hatten
mir den Platz frei gelassen. Gerade als ich die Tür aufgerissen und
ein Bein ins Wageninnere gestellt hatte, heulte auf einmal
vernehmlich ein Hund – Fantasie so: oder ein Werwolf?? - auf; der
Schock traf alle Insassen, sogar den coolen Petri, der spontan das
Gaspedal durchtrat. Der Fiat quietschte und machte einen Satz. Ich
auch, aus Panik, der Wagen könnte ohne mich losfahren, und sprang
mit so viel Körper, wie ich darin unterbringen konnte, auf die
Mädels, während meine Beine noch im Fahren aus der offenen Wagentür
hingen und ich geradezu erwartete, da gleich scharfe Reißzähne drin
stecken zu haben. Immerhin: das war nicht allein mein Schock gewesen,
die Welle war einmal durch alle Insassen gegangen, und wir mussten
tüchtig „Whoaa!“ und „Boaah!“ machen, um sie wieder
abzuschütteln.
Auf
der Hälfte der Strecke, wir hatten uns gerade wieder eingekriegt,
kreuzte plötzlich ein riesiger Hund – Wolf? - direkt vor uns in
unserem Scheinwerferlicht die Straße. Nochmal Schockwelle, nochmal
„Whoaa!“. Und alles Bier des Abends hatte sich in Schweißperlen
verwandelt, die uns auf der Haut klebten.
Als
wir endlich wieder unseren Heimatort erreicht hatten, fuhr Petri mich
als erste nach Haus, und gleich weiter. Und natürlich, als hätte
das alles nicht schon gereicht, war das Haus dunkel, alle schon ins
Bett gegangen – und der Haustürschlüssel nicht im offenen
Zeitungsschlitz des Briefkastens, wo er eigentlich immer lag, wenn
ich spät nach Haus kam. Verdammt, auch das noch! Es gab einen
Reserveschlüssel für den Notfall, aber der lag auf der Rückseite
des Hauses, auf dem Sims des kleinen Gästeklofensters unter einem
Blumentopf. Ebenfalls auf der Rückseite: der Vollmond. Und der
Nebel.
Ich
quetschte den Rest von Mut aus meinen zitternden Nerven, holte den
Schlüssel, schloss die Haustür auf, rannte, so schnell ich
geräuschlos konnte, in den ersten Stock, in mein Zimmer, schloss die
Tür ab – und holte erstmal tief Luft. Geschafft! In Sicherheit! Da
kriegte mich jetzt keiner mehr raus, auch nicht ins Bad, Waschen und
Zähneputzen würde ausfallen; ich stieg aus meinen Klamotten ins
Nachtzeug und kuschelte mich unter die Bettdecke. Erster Stock, yeah,
und mein Kopf im Bett auf der Querseite von der Außenwand, auf der
Längsseite vom Dach geschützt, niemand würde mir etwas tun können,
Werwolf oder sonstwer. Und zur Sicherheit hatte ich auch noch die
Jalousien an Balkontür und Fenster heruntergelassen, damit auch der
Vollmond mich nicht mehr würde anspuken können.
Als
ich gerade so weit war, zu entspannen und aufs Einschlafen zu hoffen,
hörte ich es: Tapp, tapp, tapp. An der Wand über meinem Kopf.
Außenwand. Erster Stock. Da konnte nichts und niemand sein. Tapp,
tapp, tapp. Ganz regelmäßig. Wiederkehrend. Nervenzehrend. Tapp,
tapp, tapp. Verdammt, da KONNTE niemand sein, oder nichts, das dieses
Geräusch hervorbringen könnte! Die hohe Birke fiel mir ein, aber
die stand zu weit weg vom Haus, die konnte es nicht sein – sonst
hätte ich sie ja schon öfter gehört, stürmische Nächte gab es ja
genug.
Tapp,
tapp, tapp. Meine Nerven, die gerade so bereit waren, sich zu
beruhigen, waren wieder auf Alarmstufe Rot. Mist. Tapp, tapp, tapp.
Ich konnte nicht mehr einfach so daliegen und mir vorstellen, dass
sich ein Werwolf – oder vielleicht auch ein außerirdisches Monster
- durch die Außenwand fräst, um an mein Hirn zu gelangen... wenn,
dann sollte es mich stehend erwischen, bereit zum Kampf! Adrenalin
marsch!
Ich
fixierte die Balkontür, durch die es wohl kommen würde, und durch
deren doch nicht ganz geschlossene Jalousien das Vollmondlicht quoll.
Und dann sah ich zu meinem absoluten Entsetzen, wie sich eine große
grünliche Hand durch die Jalousiestreben schob und an die Scheibe
drückte.
Das
war der Moment, in dem sich alles in mir entschloss, den nächsten
nicht mehr erleben zu wollen. Ich stieg aus meinem Körper.
Tatsächlich, ich tat eine Art Schritt nach links und sah meinen in
dem Moment fremden Körper rechts neben mir stehen. Und hörte einen
unglaublichen, echt horrorfilmmäßigen Schrei und wunderte mich, wie
jemand so schreien konnte. Denn da, wo mein Bewusstsein stand, waren
keine Emotionen vorhanden, auch keine Angst, keine durchdrehenden
Nerven - nichts außer distanzierter Faszination. Ich war `raus aus
dem Szenario. Zuschauer. Sehr wohltuend.
Und
dann passierte alles zugleich: das Monster auf dem Balkon brüllte
mit der Stimme meines Bruders: „Mach auf, dumme Kuh, ich bin´s!“,
und zugleich trommelte mein Vater mit beiden Fäusten an die
Zimmertür und brüllte ebenfalls „Mach auf!“. Und ich rutschte
wieder in meinen Körper, der jetzt zugleich verwirrt und
erleichtert war, meinem Vater die Tür aufschloss, dann meinem Bruder
die Jalousien hochzog und die Balkontür öffnete. Und während die
beiden sofort anfingen, sich zu streiten, sank ich auf mein Sofa und
hätte wirklich gern einen Kognak serviert bekommen, aber da war
niemand im Zimmer, den das interessierte.
Am
nächsten Tag erfuhr ich von meiner Mutter, dass mein Bruder
vollgetankt von einer Party zurückgekommen war und sich in seinem
alkoholgeschwängerten Kopf gedacht hatte, er könnte die
Peinlichkeit, meinen Eltern zu begegnen, dadurch vermeiden, dass er
tatsächlich die Birke hochkletterte und so lange in ihrer Spitze
herumschwankte, bis er das Balkongeländer greifen und sich
`rüberziehen konnte. Und mich wecken, damit ich ihn unbemerkt
hereinließe. Was, in Prozenten gerechnet, so ungefähr das
unwahrscheinlichste Ergebnis gewesen wäre, aber wer rechnet schon in
Prozenten, wenn er genügend intus hat? Meine Mutter jedenfalls war
zurecht heilfroh, dass er sich bei dem Stunt nicht den Hals gebrochen
hatte.
Und
was meinen Schrei anging, sagte sie nur: „Ich dachte, da wäre eine
Spinne in deinem Zimmer,...“ - ich war extrem spinnenphobisch -
„... aber dem Schrei nach hätte die mindestens einen Meter
Durchmesser gehabt haben müssen.“
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