Freihafen
Freihafen
Als
die Hule losging, machte ich einen Satz. Schubi schlug schwer neben
mir auf; ich war seine Räuberleiter gewesen.
„Sorry!“
zischte ich. Die Hule hulte weiter. Schubi griff nach dem
Bolzenschneider, den er fallengelassen hatte. „Pack‘ ein und ab
ins Auto!“ zischte er zurück. Und da heulten sie schon, die
Polizeisirenen.
Schubi
hatte mir beigebracht, dass man neben dem Objekt für den Bruch auch
immer die nächste Polizeistation ermitteln sollte. Um zu wissen,
woher die Bullen kommen würden, wenn was schiefging. Schubi war der
Apothekenkönig von Hannover gewesen, ich dagegen eine blutige
Amateuse – aber eine mit Auto. Und einen Führerschein. Schubi
hatte keins von beidem, aber er konnte einbrechen. Zusammen hatten
wir uns zu Übungszwecken darauf verlegt, in Provinzkneipen die
Daddelkästen zu knacken. Ein Vorteil daran: es gab immer nur
höchstens eine Polizeistation pro Kaff. Man wusste also genau, woher
der Feind kommen würde, wenn.
Und
dies war das erste Mal, dass er überhaupt kam.
„Was
denn passiert?“ fragte ich, als wir das Bruchwerkzeug in den
Kofferraum geschmissen hatten und in die Sitze sprangen. „Falscher
Draht.“ knurrte Schubi. Und: „Fahr‘ rechts `rum, und nicht zu
schnell!“
Ich
ließ die Gurke an und fuhr vom Kneipenvorplatz auf die Landstraße.
Im Rückspiegel blinkte es schon bläulich. „Ruhig bleiben“,
sagte Schubi, und „ab ins Wohngebiet!“. Das tauchte gerade vor
uns auf, alles neue Einfamilienhäuser. Die Straße führte direkt
hinein. „Nächste links. Und bleib‘ knapp über fünfzig.“ Ich
kapierte. So, als würden wir da irgendwo wohnen und nach Hause
fahren. Ganz unverdächtig.
Das
bläuliche Blinken verschwand aus dem Rückspiegel, als ich um die
Ecke bog. „Nächste wieder rechts, und dann noch einmal links.“
Alles klar. Haken schlagen. Ich behielt den Rückspiegel im Auge,
aber das Blinken kam nicht nach.
Die
Nächste rechts war noch eine von den schmaleren Wohnstraße, die
wieder links schon ein ganzes Stück breiter. Auf deren rechter Seite
gab es auch keine Bebauung mehr, nur noch Felder und Dunkel und ein
gelbes Schild, das zur Bundesstraße wies. „Jetzt kannste Gas
geben!“ sagte Schubi, lehnte sich zurück und atmete tief durch,
während ich das Pedal durchtrat. „Ich hab‘ ja schon mit vielen
gearbeitet, aber so cool wie du war niemand!“ Er klang ehrlich
beeindruckt. Ich glaubte ihm das nicht wirklich, fühlte mich aber
trotzdem gebauchpinselt. Schubi neigte an sich nicht zu solchen
Statements. „Danke!“, sagte ich. Und „was machen wir jetzt?“
„Auf
jeden Fall keinen Bruch mehr“, sagte Schubi. „da liegt heute kein
Glück drauf. Aber wir sind doch hier kurz vor Hamburg, lass uns mal
in die Stadt fahren.“ War mir nur recht, nach Hause trieb mich auch
nichts. „Der Karte nach müssten wir hier irgendwo auf die Autobahn
kommen“, sagte ich. Die Karte hatte ich zuhause gelassen und sicher
war ich mir auch nicht, aber ich war in Ausprobierlaune.
Die
Straße, die ich gemeint hatte, führte nicht auf, sondern
über die Autobahn. „Shit!“, fluchte ich, als wir durch
das Geländer auf die Scheinwerferlichterkette unter uns guckten.
„Das sah auf der Karte ganz anders aus! Aber wir kommen sicher auch
auf dieser Straße in die Stadt. Ist ja die Richtung.“ - „Dann
mach‘ mal.“, sagte Schubi, der noch weniger Ahnung hatte als ich,
wo wir waren, und lehnte sich zurück.
Irritierend
war, dass die Straße, auf der wir gerade fuhren - und die nicht die
Autobahn war – auch ziemlich autobahnig aussah. Noch irritierender
war, dass sie seltsam langgezogene Kurven hatte. Und, am
irritierendsten: zunehmend mehr Steigung. Und dass bald nichts mehr
um uns herum zu sein schien außer der Fahrbahn, den sehr hohen
Straßenlampen mit dem seltsam orangenen Licht - und der Dunkelheit
dahinter.
Und
dann sah ich sie, die Lichter der Großstadt. Und zwar nicht vor oder
um, sondern unter uns. Eine durch und durch surreale Aussicht, vor
allem, wenn man sie absolut nicht erwartet. Mein Hirn verweigerte
spontan die Annahme. Magen samt Inhalt schoss in den Hals. Aber
wenigstens wusste ich nun, wo wir waren.
„Scheiße,
wir sind auf der Köhlbrandbrücke!!“ - „Und wohin führt die?“
fragte Schubi, der Hannoveraner. „Keine Ahnung. Hafen irgendwas.“
„Freihafen“
sagte das Schild. Ich hatte keine Ahnung, was das sein sollte, aber
es hörte sich ja schon mal nett an. So wie „keinen Eintritt zahlen
müssen“. Und langsam neigte die Brücke sich auch wieder dem
Bodenlevel zu. Allerdings sah das Gelände, in das wir nun rollten,
verdammt fremdartig aus: gigantische Halden aus mutmaßlich Kohlen,
dann wieder Massen aufeinandergestapelter Container. Ab und zu ein
riesiges Schild mit einer Art Sektorenbezeichnung, Buchstabe und
Nummer. Das alles, auch die Straße hindurch, auf der wir staunend
dahinrollten, nur spärlich beleuchtet. Die Silhouetten verschmolzen
schon wenig weiter mit der Dunkelheit, ein Ende war nirgends
absehbar. Das Ganze wirkte wie ein unbekannter Planet, der von
Kolonisten aus einem anderen Teil des Alls besiedelt wurde, die schon
mal Tonnen von Material dort gelagert hatten, und auf dem wir mit
unserem kleinen grünen Space Shuttle versehentlich gelandet waren.
Total surreal. Und es schien endlos weiterzugehen, immer wieder neue
Berge, immer wieder neue Containermengen. Und ab und zu ein
hochaufragender, futuristisch anmutender Mast mit Laterne am oberen
Ende, die ein Stück des Territoriums sichtbarer, den Rest dafür
noch dunkler werden ließ.
Als
wir schon mit nichts mehr rechneten außer vielleicht UFOs, tauchte
vor uns eine blaue Neonleuchtschrift auf, die uns sofort wieder auf
die Erde brachte: „ZOLL“. Sie krönte ein ziemlich schmuckloses
einstöckiges Gebäude am Rand eines großen leeren (Park-?)Platzes,
der am anderen Ende von Mauern und Schlagbaum eingegrenzt war. Aus
der Tür des Gebäudes traten zwei Zollbeamte in Uniform, die
wirkten, als wären sie froh, dass mal was zu tun war. Nachtschicht,
voll motiviert. „Ach verdammt.“ sagte ich. „War ja klar“,
sagte Schubi, und: „Überlass mir das Reden.“ Ich dachte an unser
professionelles Bruchwerkzeug im Kofferraum, und dass nur ein
Neonschild auf dem Autodach mit dem Wort „Einbrecher“ darauf noch
offensichtlicher gewesen wäre. Verdammt.
Die
beiden Zollbeamten, voll motiviert, baten uns ins Gebäude, ließen
sich Persos und Fahrzeugpapiere und den Inhalt unserer Plastiktüten
(Getränkeflaschen, eine Tüte Chips und eine mit Studentenfutter)
zeigen und filzten uns ausgiebig. Und dabei plapperte ich in einem
fort netten kompletten Scheiß. Einen reißenden Strom davon.
Unstoppbar. Mein Hirn und mein Mund gingen einfach mit mir durch. Ich
erzählte den Zollbeamten, wie wir vom Land nach Hamburg hinein
hatten fahren wollen und ich dann irgendwie falsch gefahren und in
diese komische Gegend geraten war, und wie außerirdisch das doch
aussehen würde, und dann wie ich überhaupt mein Auto bekommen und
welche Macken es hatte und und und. Ich machte ganz und gar den
Eindruck einer leicht schwachsinnigen Landpomeranze, der man durchaus
zutrauen konnte, dass ihr so etwas passierte wie zufällig in den
Freihafen zu fahren. War ja auch nicht mal gelogen.
Schubi
hatte keine Chance, mich zu stoppen, auch wenn ich seinen
zornig-fassungslosen Blick meine Schulterblätter durchschmoren
fühlte. Nach außen wirkte er wie mein gestresster Betreuer, dessen
Job es war, auf mich harmlose Verrückte aufzupassen. Die Sympathien
der Zollbeamten waren jedenfalls zunehmend auf seiner Seite. Der arme
Kerl war sicher nur mitgefahren und schlug sich jetzt die Nacht um
die Ohren, um Schlimmeres zu verhüten. Wünscht man auch niemandem,
so was.
Die
Beiden eskortierten uns noch zum Auto, erklärten, wie wir jetzt von
dort aus zu fahren hätten, wünschten uns eine gute Heimfahrt und
fuhren den Schlagbaum hoch. Ich ließ den Wagen an und trat aufs Gas.
Der Gurkenmotor röhrte. Wir rollten los.
Schubi
schaute zurück. „Guck mal!“, sagte er. Ich sah in den
Rückspiegel. Die beiden Zollbeamten standen noch auf dem Platz, wo
das Auto gestanden hatte. Beide sahen aus, als hätten sie etwas
vergessen und kämen jetzt nicht darauf, was genau.
Schubi
kam als Erster darauf: „Sie haben gar nicht in den Kofferraum
gesehen!“ - „Stimmt!“, staunte ich, „dabei wäre doch das das
Erste, was man in dem Job tun sollte, oder? Wir hätten ja
Kaffeesäcke klauen können. Oder Kohlen!“ - „Ein Wunder!“
sagte Schubi.
Ich
konnte ihm nur zustimmen.
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